...diese Ausgabe aus unserer Schriftenreihe des
Archivkreises / Heft 4 ist vergriffen, deshalb hier
eine Veröffentlichung......
Aus den
Kindheitserinnerungen an das Kriegsende in
Wendelstein
Von Johann Gebhardt
I. Vor
Kriegsende
Ich habe den Krieg und den
Zusammenbruch des Deutschen Reiches als Neunjähriger in
Unterschlauersbach im Landkreis Fürth miterlebt. Dort
war ein größerer Militärflughafen, der zu Kriegsende
auch schwer bombardiert wurde. Unser Dorf selbst ist vor
Zerstörung verschont geblieben. Unsere Mutter mit drei
Kindern hat sich so recht und schlecht mit Hilfe unseres
Großvaters durchgeschlagen, da ja unser Vater im Krieg
war. Er ist wieder heil nach Hause gekommen. Als Kind hat
man all´ diese Geschehnisse mit den vielen Soldaten und
den fremden Gefangenen bewusst erlebt. Meine Mutter hat
sich immer dieser zerlumpten und stets hungrigen
Kriegsgefangenen angenommen und ihnen Brot oder Kleidung
zugesteckt, obwohl das streng verboten war. Es war eine
bewegte Zeit, immer war was los und meine Erinnerungen
würden selbst ein ganzes Buch füllen. Es ist
erstaunlich, wie intensiv wir Kinder die Erlebnisse um
1945 in uns aufgenommen haben. Wir waren behütet durch
die Mutter und haben vieles wohl mehr als Abenteuer
empfunden. Trotz allem hatten wir viel Glück, denn
unsere Familien sind heil geblieben.
Aber ich will nicht von
mir, sondern ich möchte von den Ereignissen in
Wendelstein berichten, wie sie meine Frau Lina und ihre
Familie Rückert erlebt haben. Besonders ihr zwei Jahre
jüngerer Bruder Heinz, der damals kaum sechs Jahre alt
war, kann sich noch ziemlich deutlich an viele
Einzelheiten erinnern und hat sie uns neulich wieder
einmal erzählt, so wie er sie damals erlebt hat. Von ihm
stammen die meisten Geschichten. Andere Erinnerungen an
den Krieg, die hier eingestreut sind, stammen von Fritz
Winter, der im Altort Wendelstein wohnte und damals neun
ein halb Jahre alt war.
Russenlager
Hinter Röthenbach in
Richtung Sperberslohe sind während des Krieges im Wald
versteckt und getarnt große Lagerhallen errichtet
worden. Gebaut wurden sie von russischen
Kriegsgefangenen, die harte Frondienste leisten mussten.
Immer wieder hat die Zivilbevölkerung geholfen, den
Hunger zu stillen. Die russischen Gefangenen haben sich
durch kunstvoll geschnitzte und bunt bemalte Figuren
dafür bedankt. Manchmal haben die Kinder den Russen so
einen begehrten Vogel aus Holz oder eine Schatulle aus
Aluminium mit eingravierten Verzierungen mit Brot
abkaufen können, ohne dass die Wachposten was sagten. Am
Appeles-Buck haben die Russen den Holzsammlern ihren
Wagen voll Brennholz schieben helfen und damit versohlen
ein Stück Brot von den Frauen bekommen. Lina erzählt,
wie sie beim Schwarzbeerzupfen ein Stück Brot im Moos
versteckt hat und wie am nächsten Tag eine geschnitzte
Figur, ein wunderschöner Pfau, an derselben Stelle lag.
Den meisten Leuten taten die armen Russen leid.
Naziwillkür
In dieser schlimmen Zeit
wurde jeder, der nicht linientreu war, als Schädling des
Volkes angesehen und er hatte Glück, wenn er nicht in
ein Konzentrationslager kam. Onkel Konrad und Onkel
Martin wurden auch einmal in einer Wirtschaft
zusammengeschlagen, weil sie ihre Meinung vertreten
hatten. Es wurden von den Nazis keinerlei andersartige
Ansichten zugelassen. Wer sich gegen das Regime
äußerte, konnte ins Konzentrationslager gebracht
werden. Fahnenflüchtige wurden sofort erschossen.
Luftschutz
Da unser Onkel Martin schon
älter war, musste er nicht mehr einrücken. Er wurde wie
andere Männer, die zuhause waren, zum Zivildienst mit
verschiedenen Aufgaben herangezogen, wie zum Luftschutz.
Als Luftschutzwart hatte er eine Armbinde um und musste
sich um strikte Befolgung der Verdunkelung der Fenster
und um vieles andere kümmern. So mussten die
Luftschutzkeller bestimmten Vorschriften genügen. Vor
den Fenstern war eine splittersichere Mauer aufgeführt
und es mussten Pickel, Schaufeln, Löschsand und
Feuerpatschen vorhanden sein. Zwischen zwei nebeneinander
liegenden Kellern musste eine dünne Wand eingezogen
sein, damit man sie im Notfall durchbrechen konnte. Die
Kellerdecken waren mit Balken abgestützt und viele
weitere Maßnahmen waren notwendig. Jeder Lichtschein
musste bei Dunkelheit vermieden werden. Zu diesem Zweck
wurden die Fenster abends mit schwarzem Papier
verdunkelt, und wehe, wenn da einer leichtsinnig
war.
Fliegeralarm
Bei Fliegeralarm wurden wir
Kinder aus den Betten geholt. Schlaftrunken wie wir
waren, wurden wir von Tante Gretel oder Onkel Schorsch
angezogen, die neben uns wohnten und stets als erst bei
uns waren. Wir mussten in den Keller zu unseren Nachbarn
Ziegler, weil dort die Luftschutzräume besser ausgebaut
waren. Der Zieglers Hanse, vielleicht 8 Jahre als, hatte
seinen Platz auf einer Bank neben der Mauer, die zum
anderen Luftschutzkeller führte. Dort saß er immer, den
viel zu großen Stahlhelm auf dem Kopf und den Pickel
zwischen den Beinen. Er wollte damit im Notfall die Mauer
durchschlagen. Wir Kinder berieten auch, was wir
unternehmen würden, wenn tatsächlich eine Bombe
einschlagen sollte. Zuerst wollten wir die Großmutter
durch das doch recht enge Fenster schieben, weil sie es
nie alleine schaffen würden, denn sie war ganz schön
dic.
Bombennächte
Wenn die Sirenen heulten,
mussten alle in den Luftschutzkeller. Das wurde im Radio
frühzeitig angekündigt. Besonders der Sprecher
“Baldrian” war dazu gut geeignet, weil er es
verstand, die Bevölkerung mit seiner monotonen Stimme zu
beruhigen. Bei Bombemalarm durche der Brandwart nicht in
den Luftschutzraum, bei direktem Angriff musste er als
letzter in den Keller. Aber unsere Großmutter machte da
oft nicht mit, sie hat sich lieber auf ihre Gebete
verlassen. Zuerst hörte man die Aufklärungsflugzeuge,
die ziemlich hoch flogen. Dann wurden die so genannten
Christbäume abgeworfen. Das sind Leuchtbomben, die an
Fallschirmen herabschwebten und das Zielgebiet taghell
erleuchteten. Dann fielen die Bomben über Nürnberg und
richteten ihre Zerstörung an. Wir sahen nach der
Entwarnung der Sirenen den hellen Schein des Feuers über
der brennenden Stadt. Der Feuerschein hat sich an den
Wolken gespiegelt und es war so hell, dass man Zeitung
lesen konnte. Für uns Kinder war es abenteuerlich, für
die Erwachsenen schauerlich.
Besonders schlimm war es am
2. Januar 1945. Tagelang danach schwebten verbrannte
Zeitungsblätter vom Himmel. Man konnte die Schrift noch
erkennen und wir Kinder fingen sie in der Luft auf oder
zerschlugen sie, noch schwebend, mit einem Stock.
Wendelstein wurde von den
Bomben weitgehendst verschont. Bei Fliegeralarm drückte
sich mein Bruder Richard gern davor, in den Keller zu
gehen, und spielte lieber Luftschutzwart. Heinz war auch
noch draußen und sah, wie die Scheinwerfer den einen
oder anderen Bomber mit ihren Lichtkegeln erfassten und
nicht mehr losließen. Die Flak feuerte wie wild. Man
konnte auch sehen, wie die Besatzung eines brennenden
Bombers mit dem Fallschirm absprang. Onkel Martin und
Richard jagten Heinz in den Keller zurück und wie er
halb auf der Treppe war, explodierte im Bereich des
jetzigen Waldfriedhofs eine Luftmine. Es gab einen
gewaltigen Knall. Der Luftdruck hat an allen umliegenden
Häusern Schäden angerichtet, und in unserem Haus flogen
die Backsteine zum Kamin herunter. Heinz und Richard
wurden die Treppe herabgefegt und landeten im
Luftschutzkeller.
Luftminen
Bei Habele auf der Siedlung
wurde einige Tage vorher das Dach ihres Hauses gedeckt,
aber sie waren noch nicht ganz fertig damit, als am
helllichten Tag eine weitere Luftmine neben dran
einschlug und durch den gewaltigen Luftdruck das ganze
Dach wieder abdeckte. Damals waren kaum noch Ziegel
aufzutreiben. Einige verirrte Bomben, die wahrscheinlich
dem Rangierbahnhof galten, sind am Steinberg gefallen und
haben im Sand flache, im steinigen oder lehmigen Boden
aber sehr tiefe Krater hinterlassen. In den
Scwarzachwiesen wurden auch Bomben abgeworfen,
wahrscheinlich haben die Bomber sich auf dem Rückflug
erleichtert. Nach einem Fliegerangriff haben die Buben am
Wasserhäuschen nach Splittern der Flakgeschosse gesucht,
denn es gab in der Umgebung mehrere Flakstellungen. In
Raubersried, am Kohlschlag, auf der Siedlung u.a. Auch
Bündel von Stanniolstreifen wurden abgeworfen, sie
sollten das Radar stören, das damals erfunden wurde.
Blindgänger, soweit sie gefunden werden konnten, wurden
von Einheiten deutscher Soldaten ausgegraben, auf LKW´s
verladen und abtransportiert. Das waren Sprengbomben und
Brandbomben, die oft mit heimtückischen Zündern
versehen waren. Im Waldboden steckten jede Menge
Brandbomben.
Schwarzhörer
Auch das Schwarzhören war
streng verboten. Wir hatten zuhause in der Küche einen
Volksempfänger auf einem kleinem Sims an der Wand.
Mutter war etwas schwerhörig und hat sich da auf die
Kommode gesetzt und ganz nahe am Lautsprecher gelauscht.
Sie hat nämlich etwas ganz Verbotenes gemacht, wobei sie
sich niemals hätte erwischen lassen dürfen. Sie hat den
Feindsender Radio London gehört. Der hatte ein
durchdringendes Pausezeichen mit einer Trommel Bom bom
bom bommm. Hier spricht Radio London … Dann folgten die
neuesten Meldungen über den Stand der Fronten. Es war
bei Androhung der Todesstrafe verboten, feindliche
Radiostationen, so genannte Schwarzsender, abzuhören.
Unsere Mutter tuschelte mit Onkel Martin. “Heute Nacht
hab´ ich wieder gehorcht. Die Amerikaner stehen jetzt
bereits in Mainz.”
Franzosen
Die französischen
Kriegsgefangenen wurde anscheinend etwas freizügiger
behandelt als andere. Diese Leute wurden zu allerhand
Arbeiten herangezogen, auch in der Landwirtschaft mussten
sie mithelfen, sie waren tagsüber frei und wurden abends
in Lagern zusammengefasst und bewacht. Es war noch vor
Kriegsende, da kamen mit einem Panzerspähwagen am
Bahnhof eine Menge gefangener Franzosen an, die am Kanal
ausschwärmten und etwas suchten. Nach einiger Zeit hat
ein deutscher Offizier, der sie beaufsichtigte, uns
Kinder gefragt, ob wir wüssten, wo es Schnecken gibt.
“Ja, im Erlenwäldchen neben dem Kanal gibt es
welche”. Dort war es immer feucht, und da holten sich
unsere Hühner auch welche, denn wir wohnten ja direkt
neben dem Wald. Wir Kinder durften auch auf dem
Panzerspähwagen mitfahren und wir halfen ihnen sammeln
und hatten schließlich einen halben Eimer voll
Schnecken. “Allmächt, das essen die…”, sagten wir
untereinander. Bei den Franzosen, die hier zwangsweise
arbeiten mussten, was das eine Delikatesse.
Fritz erinnert sich, wie
ein Lastwagen voller französischer Gefangener in einer
Scheine an der Querstraße übernachtet haben. Offenbar
waren sie auf der Durchreise. Sogar Schokolade hatten sie
zu essen, die sie durch Pakete von zuhause geschickt
bekommen hatten. So etwas kannten die Kinder hier
nicht.
Jagdbomber
Im Herbst 1944 gab es
häufig Angriffe der englischen Jagdbomber, der Jabos,
einmotorige Kampfmaschinen vom Typ “Spitfire” oder
“Hurrikane”, die inzwischen allen bekannt und von
allen gefürchtet waren. Die terrorisierten auch die
Zivilbevölkerung und haben die Bauern auf dem Feld
verfolgt und auf alles geschossen, was sich bewegte. Sie
haben auf einem Acker Kartoffelsäcke, die in einer Reihe
standen, durch ihre Bordkanonen zersiebt. Es soll auch
Tote gegeben haben, eine Frau mit Namen Vitzethum ist
hierbei in Leerstetten ums Leben gekommen.
An so einem Tag spielten
wir Kinder am Kanalweg, der Heinz, die Lina, der Zieglers
Hansi, der Meiers Fredl, der Scheu Helmut mit seinem
Dreirad, das er nie aus der Hand gab, die Zieglers
Pauline, der Helmreichs Alfred und noch andere.
Plötzlich kam wie aus heiterem Himmel so eine Maschine
direkt auf uns zu, sie hat sich regelrecht herabfallen
lassen und wir sahen die rote Schnauze. Lina behauptete,
der Pilot habe ins Wasser geschossen. Sie kann sich
erinnern, wie das Wasser im Kanal aufgespritzt ist.
Vielleicht war es auch der gewaltige Luftzug durch den
fürchterlich aufheulenden Motor. Dieses schreckliche
Erlebnis bleibt lebenslang im Gedächtnis haften. Der
Meiers Fredl, 5 Jahre alt, hat sich in ein Sandloch
geschmissen, die anderen sind über den Graben hinter den
Holzschuppen gerannt. Sogar der Helmut hat sein
Dreirädchen verlassen, das allein am Kanalweg stand. In
Röthenbach am Appeles-Buck soll der Flieger vorher einen
LKW angegriffen und dem Fahrer beide Beine abgeschossen
haben.
II. Der
Zusammenbruch
Panzersperren
Richard musste noch in den
letzten Kriegstagen nach Schwabach zur Musterung. Sie
wurden aber bald wieder nachhause geschickt, denn damals
waren die Alliierten schon in Erlangen. Einige
Unverbesserliche haben noch schnell auf der Kanalbrücke
große Panzersperren errichtet, obwohl die Amerikaner
schon kurz vor Nürnberg standen. Die Sperren bestanden
aus Baumstämmen, die gebündelt eng nebeneinander lagen,
auch Eisenbahnschwellen wurden hochgestellt in den Boden
eingegraben. Gerade ein Handwagen passte noch an der
Seite durch.
Letzte
Kämpfe
Noch bevor Wendelstein
eingenommen wurde, hörte man, dass in Allersberg, das
sich nicht ergeben hatte, noch heftig gekämpft wurde.
Freystadt und Neumarkt wurden unter großen Opfern
verbissen von der SS verteidigt. Das waren lauter junge
Soldaten, fast Kinder, und es gab viele Gefallene.
Plünderungen
Ein paar Tage vor
Kriegsende wurde die Turnhalle in Wendelstein von der
Bevölkerung geplündert, die voller Verbandsmaterial
war. Die Russen hatten keine Angst mehr und plünderten
als erste die Lager. Unser Richard hat auch einen
Handwagen voll aufgeladen und ist an den Leuten, die die
Panzersperren aufbauten, vorbeigefahren. “Wo hast du
das her? Dich zeige ich an”, schrie ihn einer an,
obwohl die Amerikaner im Anrücken waren. Richard hatte
sich einige Rotkreuzkisten ergattert, in der Unmengen von
Verbandszeug wie Scheren, Mullbinden, Salben, Pflaster
und mehr dergleichen war. Vieles davon hatten wir Kinder
noch nie gesehen und kannten deren Verwendung nicht. Eine
Menge Bandbinden war dabei, auf denen eine rotbraune
Salbe aufgetragen war. Die hatten wir nach 20 Jahren
noch, und alle Brandwunden wurden damit geheilt.
Auch die Lager der WHG
(Anm.: Wendelsteiner Handelsgesellschaft) wurden von den
Russen geplündert, ebenso die Waggons auf dem
Rangierbahnhof und die Lager vom “Teufelsbackofen”
bei Langwasser.
Der Einmarsch am
17. April 1945
Als die Amerikaner dann
oben vom Wasserhäuschen die Nürnberger Straße
herunterkamen, hatte mein Onkel Martin gerade Brandwache
und die Leute waren alle im Luftschutzkeller. Ein
einmotoriger Aufklärer kreiste dauernd über
Wendelstein. Onkel Martin sagte: ”Da ist irgend was
anders als sonst!” Von der Straße her war der Lärm
der Jeeps und das Marschieren der Soldaten zu hören.
Langsam wagten wir uns vom Luftschutzkeller heraus und
konnten auf die Straße vorschauen. Da sagen wir sie. Auf
ihren Fahrzeugen waren MG-Schützen postiert, meist
Neger. Und das waren die ersten Schwarzen, die wir in
unserem Leben sahen, und wir hatten solche Angst davor,
denn wir hatten vorher durch die Kriegspropaganda
gehört, dass sie den Leuten den Bauch aufschlitzten.
Hinterher marschierten Kolonnen von Amerikanern.
Wendelstein hatte sich kampflos ergeben. Der Herr
Löhlein ging ihnen mit der weißen Fahne entgegen. Den
haben die Amis dann später als Bürgermeister
eingesetzt.
Dorfgeschehen
Vom Dorf hat mir der Fritz
erzählt, dass der Taugerbeck einen Volksempfänger im
Luftschutzkeller dabei hatte. Vorher hörte man immer
wieder die Durchhalteparolen, aber an dem Tag, als die
Amerikaner einmarschierten, hat sich der Rundfunksprecher
um 11 Uhr offiziell verabschiedet und der Bevölkerung
alles Gute gewünscht - Funkstille. Bald danach rückten
auch schon die Truppen ein. Das alte Rathaus wurde
besetzt. Zu jedem Fenster schauten bewaffnete Amerikaner
heraus und die weiße Fahne hin herab. Einige
applaudierten, andere schauten betroffen dem Ganzen zu.
Erst nachmittags gegen 2 Uhr kamen die Panzer von der
Röthenbacher Straße her. Wendelstein wurde noch vor
Nürnberg eingenommen. In der jetzigen Veilchenstraße
stand eine Kanone der Amerikaner, womit Nürnberg
beschossen wurde. In der Wirtschaft Bauer wurde von den
Amerikanern ein Lazarett für ihre verwundeten Soldaten
eingerichtet, die beim Kampf um Nürnberg verletzt
wurden. Die SS hatte sich in den Wäldern zwischen
Wendelstein und Nürnberg verschanzt.
Die
Einquartierung
Dann wurde Quartier
gemacht. Alle passenden Räume wurden beschlagnahmt und
die Familien mussten noch enger zusammenrücken. Onkel
Schorsch, der damals nicht eingezogen war, grüßte die
Amerikaner vor lauter Aufregung mit dem Hitlergruß und
erntete dabei das Gelächter der Soldaten. Meine Mutter
zerschlug im Keller Hitlers Gipsfigur mit einem Hammer,
ein Hitlerbild hatten wir nicht. Irgendwas vom Führer
musste in jede Haushalt sein, sonst wurde man sofort
verdächtigt, und das war lebensgefährlich. Unser Bruder
Georg wurde gegen Kriegsende zum RAD, zum
Reichs-Arbeitsdienst, eingezogen und war deshalb nicht
zuhause. Keiner wusste so recht, wo die Angehörigen
waren. An Überbleibseln aus seiner erzwungenen
Mitgliedschaft bei der Hitlerjugend waren da noch ein
H.-J. Hemd und ein Dolch. Die steckte die Mutter beim
Einmarsch der Amerikaner noch schnell in den Kanonenofen
im ersten Stock. Ausgerechnet dieses obere Zimmer wurde
belegt, wo im Ofen die Sachen versteckt waren. In einer
freien Minute hat unsere Mutter dann diese
verräterischen Dinge weggeworfen.
Frontkämpfe
Die Amerikaner haben in
unserem Haus das oben liegende größere Zimmer belegt.
Sie schliefen in den beiden Betten und am Fußboden, mit
voller Montur und in Stiefeln, denn sie mussten immer
alarmbereit sein. Hinter unserem Haus verlief die
Frontlinie, im Wald hatten sich noch deutsche Soldaten
verschanzt. Die Gefechte haben sich über mehrere Tage
Hingezogen. Die ersten Tage durften die Dorfbewohner
nicht in den Häusern schlagen, sondern mussten im Keller
bleiben´. In der zweiten Nacht kam ein betrunkener
Amerikaner mit einer Pistole in den Keller und suchte
nach einem deutschen Soldaten. Er leuchtete allen mit
einer Taschenlampe ins Gesicht. Die Kinder wurden wach
und fingen zu schreien an. Aber es war kein deutscher
Soldat hier, und meine Mutter versuchte in zu beruhigen.
Die Frauen waren sehr mutig in dieser schlimmen
Zeit.
III. Die
Besatzungszeit
Sperrstunde
Nach dem Einmarsch der
Amerikaner war ab sechs Uhr abends Sperrstunde, da durfte
sich niemand mehr auf der Straße blicken lassen.
Stromsperren gab es oft, weil so viel zerstört war. Die
einzige Informationsquelle in dieser Zeit war unser
Volksempfänger, aus dem jetzt keine Durchhalteparolen
mehr kamen, sondern amerikanische Tanzmusik. Heinz
erinnert sich auch noch an eine ständig ausgestrahlte
Nachricht, die ein Sprecher mit monotoner Stimme
ununterbrochen herunterleierte: ”Deutsche Landser
ergebt euch, der Krieg ist seit 8. Mai zu Ende.
Erst im August las man in
einem von den Amerikanern herausgegebenen Blättchen von
der Atombombe, die auf Hiroshima fiel, womit dann der
schreckliche Krieg endgültig aus war. In so einer
Zeitung der Militärregierung war auch ein Bild vom
Müllers Hans, der als blutjunger Soldat abgebildet war,
und was aussagen sollte. Schaut her, solche Kinder hat
Deutschland in den Krieg geschickt.
Verlassene
Stellungen
In den Unterständen, die
sich die Kinder gebaut hatten, lagen später
Wehrmachtsmäntel, Gewehre mit Munition und abgerissene
Achselklappen herum. Auch ein verlassenes MG stand noch
mit Patronengurt auf einem Sandhügel. In den Wäldern
zwischen Nürnberg und Wendelstein lag lange Zeit die SS,
die Amerikaner hatten sie gefürchtet. Die Amis haben die
Männer, die noch in Wendelstein waren, in die Wälder
geschickt, um Tote zu suchen und zu begraben. An der
Sorger Kanalbrücke in einem Birkenwäldchen war ein
Soldatengrab mit einem Holzkreuz, auf dem ein Stahlhelm
hing; er hatte ein Loch.
Essenszeit
Wir Kinder haben uns
überall herumgetrieben, wo was los war. Es war ja keine
Schule von Februar bis September. Beim Eckstand auf der
Siedlung war kurz nach dem Einmarsch ein
Essensausgabezelt. Dort haben wir Kinder uns mit
angestellt und Essen gefasst. Wenn uns keiner der
Soldaten einlud, gab es nichts. Wir setzten uns unter die
Soldaten und verspeisten unsere Mahlzeit mit großem
Appetit, denn dieses Essen war für uns doch was völlig
anderes, weil es zuhause immer das selbst einfache Mahl
gab. Die Soldaten freuten sich, wenn es uns Kindern
schmeckte. Am alten Bahnhof war später auch ein
Verpflegungszelt aufgebaut, in dem gekocht wurde. Daneben
in einem anderen Zelt wurde gegessen. Die Mannschaft und
die Offiziere saßen getrennt. Man konnte den Köchen
zuschauen, wenn sie die Seitenwände hochschlugen; denn
es war sehr warm. Die Köche mussten die Speisen
auftragen.
Die Heimkehrer
Gleich nach der
Kapitulation zogen am Kanalweg täglich tausende Landser
in beiden Richtungen pausenlos entlang. Jeder versuchte,
seine Heimat zu erreichen. Andere fragten nach ihren
Angehörigen, wie die Frau Ziegler, die unter einer Eiche
saß und Brot an die hungrigen Soldaten austeilte. Ihr
Mann von dem sie Nachricht erhoffte, ka aber nicht mehr
zurück. Am Kanalweg fuhren die Amis mit ihren Jeeps
entlang und kontrollierten den Zug der Landser. Alle ihre
Waffen hatten sie bereits in den Kanal geworfen.
Gefährliches
Spielzeug
Heinz erzählt: Durch die
Entwaffnung der deutschen Wehrmacht war der Kanal voller
Munition. Nach im Sommer wurde er von diesen
gefährlichen Überresten des zweiten Weltkriegs
gesäubert. Manchmal hörte man auch Sprengungen. Da
haben sie mit Handgranaten im Kanal gefischt oder es ist
ein Geschoss explodiert. Die Karpfen trieben dann mit dem
Bauch nach oben im Wasser.
Nicht nur im Kanal ist nach
Kriegsende noch sehr viel Munition herumgelegen. Die
meisten Buben haben sie gesammelt wegen des
Altmaterialwertes. Begehrt waren die Patronenhülsen und
die Spitzen. Besonders die 2cm-Flakmunition und die
MG-Patronen waren gefragt. Wir haben die Spitzen
herausgedreht und das Pulver gesammelt und angezündet.
Eines Tages hat es auf der Waldspitze oberhalb von
unserem Haus einen großen Schlag getan. Ich lief gleich
rauf und sah eine Rauchwolke. In einer Blechbüchse und
daneben lagen vielleicht 100 Spitzen. Ich sah mich um und
als keiner zu sehen war, langte ich in die Bühse, weil
da lauter große Geschosse drin waren. Ein
Schmerzensschrei. Ich hatte mir mit den glühend heißen
Gewehrkugeln meine Hand verbrannt. Die Großen, der
Gempels Hanni, der Gansers Lud und andere hatten in die
Büchse zu den Spitzen Pulver geschüttet und es
angezündet. Zuhause hat meine Mutter getobt und ich
musste meine ganze schöne Sammlung in den Kanal werfen.
Meine Brandblasen wurden mit den bewährten Brandbinden
eingewickelt, und ich war auch von meiner
Sammelleidenschaft geheilt.
Vater
Rückert
Unser Vater hat sehr viel
von seiner Kindheit und Jugendzeit erzählt, aber wenig
vom Krieg. Er war sechs Jahre lang dabei, zuerst war er
in Frankreich in Paris, dann kam er zur Flugabwehr der
Luftwaffe, er war bei den Radarstellungen. Dann wurde er
an der russischen Front im Schützengraben verwundet und
im Lazarett gefangen genommen. Vielleicht war das sein
Glück. Er hat sich erfolgreich dagegen gewehrt, dass
sein Sohn Georg zur SS kam. Dabei hat ihm sein
Kompaniechef sehr geholfen. Bei den Soldaten galt der
Krieg als “großer Krampf”. Immer wieder sagte unser
Vater: “Der Krieg ist die größte Lumperei, die es
gibt. Wollen wir hoffen, dass nie wieder ein Krieg
kommt.” Wir alle wollen hoffen, dass niemand mehr sein
Gewissen belasten uß mit Dingen, die er nicht
verantworten und verkraften kann und die er überhaupt
nicht will, und dass nie mehr ein ganzes Volk durch eine
dämonische Macht in so ein schreiendes Unrecht
hineingezogen wird.
Wendelstein, im Januar 1995
Johann Gebhardt